Altbewährtes in neuen Verstärkern

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raimund54
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Altbewährtes in neuen Verstärkern

#1 Beitrag von raimund54 » 06.12.2015, 22:26

Hi,

heute bekam ich einen Newsletter von Fender, bei dem ich sehr gestaunt habe. Zur Info: Fender stellt viele bekannte Gitarren her wie die Stratocaster oder den Jazz Bass (gammelt bei mir auch noch rum) und andere. Aber auch Gitarrenverstärker.

Und jetzt kommt´s: Heute im Newsletter von Fender wurde die neue Bassverstärker Generation namens Bassbreaker angekündigt. Da werkeln doch in der Endstufe, ratet mal, man glaubt es kaum, die gute alte EL84 Endstufenröhre, die auch im CSV 13 eingesetzt worden ist. Nach mehr als einem halben Jahrhundert der Blütezeit der Röhren nun sowas sprich neue Endstufen.

Gut, ich kann verstehen, dass man Röhren einsetzt, weil bei Übersteuerung der Klang noch annehmbar ist oder auch die Übersteuerung/Verzerrung bewußt genutzt und eingesetzt wird. Bei Transistorverstärkern klingt jede Übersteuerung halt übel. Aber wundern tut mich das dann doch alles.

Gruß,

Raimund

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fnerstheimer
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#2 Beitrag von fnerstheimer » 14.12.2015, 14:28

röhrenartiges Übersteuerungsverhalten bekommt man auch mit Halbleitern hin - ich glaube, der eigentliche Grund für die EL84 ist der seit Jahren tobende Röhren Hype, der objektiv betrachtet ähnlich schwachsinnig ist wie der ebenfalls sehr stabile Vinyl Hype.

Solche Retro Effekte finden immer statt, wenn die Mid-Ager genug Geld verdient haben, und sich an die unerfüllten Träume ihrer Kindheit erinnern. Ich kann mich noch an die neunziger Jahre erinnern, da gab es Unmengen an Nachbauten von dreissiger Jahre Spielzeug, die damals ein Vermögen kosteten und heute unverkäuflicher Schrott sind. Selbst die langweiligsten Vorkriegsradios kosteten damals richtig Geld, heute ist es teilweise schwer, sie für umsonst los zu werden.

Und jetzt sind halt die Kinder der sechziger und siebziger dran, von denen fast jeder Junge irgendwann mal "Stromgitarre" gespielt hat, und von einem Fender- oder Marshall-Verstärker geträumt hat. Und weil nicht nur die Wünsche gleich geblieben sind, sondern auch die Wertvorstellungen, muss so ein Retro Gerät natürlich mit echten Röhren bestückt sein.

Ausserdem leben wir heute in einer Zeit, wo sich alles verändert und wo oft nicht klar ist, in welche Richtung es in Zukunft gehen wird. In solchen Zeiten gibt es immer großen Bedarf an Dingen "zum dran festhalten" - neu gebaute Gitarrenverstärker mit Röhren fallen sicher in diese Kategorie, auch wenn mich viele Fans für diese Meinung verachten werden.

Ich würde mir so ein Ding nicht kaufen - wenn Röhre, dann ein Original aus den fünfzigern oder sechzigern. Die ganzen Retro Geräte werden in naher Zukunft genauso wertlos werden wie die ganzen Märklin-, Schuco- oder Steiff-Repliken aus den neunzigern.

Gruß Frank
"Man will halt immer das, was die anderen haben, bis dann alle das haben, was die anderen haben und dann wollen alle wieder das, was dann keiner mehr hat"

hannes
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#3 Beitrag von hannes » 15.12.2015, 13:26

Hallo Frank
gut das Du uns hier mal epochenübergreifend aufgeklärt hast...
Veränderungen gab es in jeder Epoche, mal schneller, mal langsamer und keiner
weiß wo es hin geht, also egal.
Was den Retrohype angeht, glaube ich vielmehr, dass das ursächlich eine Marketingidee war/ist
und weniger die wehmütigen Erinnerungen von Mid-Agern oder Oldies.
Der Euro muss eben rollen.

Gruß
hannes

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Jens
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#4 Beitrag von Jens » 15.12.2015, 18:13

Hallo Frank,

mir liegt es fern Deine Einsicht zum Thema Röhre in neuen Gitarren-Verstärkern in Frage zu stellen. Trotzdem möchte ich kurz meine eigene Erfahrung reflektieren, die ich aus meinem Umfeld gesammelt habe.

Während meines Studiums (über 22 Jahre her) waren einige Komilitonen in Freizeit-Bands als E-Gitarristen aktiv. Es war durchaus so, das man Transistoren technisch zugetraut hatte einen ähnlichen bis gleich guten Sound zur Röhre produzieren zu können aber man wäre nicht im Traum darauf gekommen, auf die Röhre zu verzichten.
Dies war Ende der 80er/Anfang der 90er. Alle diejenigen mit denen ich noch heute Kontakt habe sind längst auf moderneres Equipment umgestiegen, sofern sie noch Musik machen. Es bleibt jedoch nach wie vor der bevorzugte Griff zur Röhre. Ich lasse es dahingestellt, ob Röhrenklang für jedermann identifizierbar ist oder nicht.

Es ist jedoch interessant wie lange der sogenannte Hype um die Röhre schon andauert und dieser immer noch nicht vorbei ist. Ich bezweifle daher für mich ganz persönlich, das man dieses Phänomen so ohne weiteres mit dem verzweifelten Festhalten an liebgewordenen Dingen alternder Mid-Ager in einer sich ändern Welt beschreiben kann. Dazu gibt es wiederum zu viele jüngere Käufer und Anwender.

Die Röhre hat sich in weiten Kreisen von Profis bis zu Amateuren eine gute Reputation bewahrt (ob berechtigt oder nicht), der in dieser Branche für die ausgesprochene Zählebigkeit sorgt. Ob dieser neuen Fender-Verstärker seinen Wert behält bleibt abzuwarten. Die meisten Musiker die ich kennengelernt habe, nutzen Gitarrenverstärker sowieso bis nichts mehr geht.

Viele Grüße,
Jens
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fnerstheimer
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#5 Beitrag von fnerstheimer » 25.12.2015, 20:10

hallo Jens,

ich wollte nicht die Diskussion anstossen, ob irgendeine Technik besser oder schlechter ist, letztlich ist ja alles Geschmackssache.

Was ich aber ganz allgemein sehr befremdlich finde, ist dieser Trend, der sich in ganz vielen Bereichen breit macht, den Rückschritt als Fortschritt zu empfinden.

Ich beschäftige mich schon seit den frühen siebzigern mit Elektronik - immer wieder hat der Fortschritt wie heutzutage auch merkwürdige Blüten getrieben. Bis vor wenigen Jahren wäre aber niemand im Traum auf die Idee gekommen, Fehlentwicklungen dadurch korrigieren zu wollen, dass man die Zeit komplett zurückdreht, wie es heute ganz oft passiert.

Es würde mich halt interessieren, wieso so viele Leute die Entwicklung der Gegenwart offenbar pauschal so schlimm finden, dass es sich für renommierte Hersteller lohnt, Großserienprodukte mit Technik von "dammals" aufzulegen.

Gruß Frank
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#6 Beitrag von Harmony » 26.12.2015, 23:28

"Was ich aber ganz allgemein sehr befremdlich finde, ist dieser Trend, der sich in ganz vielen Bereichen breit macht, den Rückschritt als Fortschritt zu empfinden."

Many people do still like to work with film cameras and LP turntables.
I must say after many years working with digital cameras that the quality of film (cameras) is still very good. Diafilm still matches the digital beamer
Leica and Carl Zeiss still making (mechanical) film cameras. Yes for a small market....
And many recordings with my cassettedecks Braun, Philips, Marantz, Nakamichi etc. sounds better than many CD's or streaming products.

The rangefinderforum is an example that 'old fashioned' technics have many users and lovers of it.

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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#7 Beitrag von thoman » 27.12.2015, 11:23

Servus zusammen, hallo Frank,
fnerstheimer hat geschrieben: ich glaube, der eigentliche Grund für die EL84 ist der seit Jahren tobende Röhren Hype, der objektiv betrachtet ähnlich schwachsinnig ist wie der ebenfalls sehr stabile Vinyl Hype.

Solche Retro Effekte finden immer statt, wenn die Mid-Ager genug Geld verdient haben, und sich an die unerfüllten Träume ihrer Kindheit erinnern.
schwachsinnig kann es auch sein, derlei Retro-Trends nur objektiv zu betrachten. Ich fühle mich da schon persönlich angesprochen, da ich mich dem Vinyl nie wirklich abgewendet habe. Zuhause mit genügend Zeit lege ich mir gern eine LP auf. Der eigene Klang entschädigt dafür, daß ich die Platte halt nach 20min umdrehen muß. Warum soll es schwachsinnig sein, sich einen neuen Röhren-Amp zu kaufen, wenn man von der alten Technik keinerlei Ahnung hat? Und die braucht man, wenn man sich einen 60 Jahre alten Gitarrenverstärker kauft. Oder genug Geld zur Revidierung.
CD's, DVD's heutzutage noch kaufen, Schwachsinn, weil Rückschritt statt Fortschritt. Man streamt heute!
Heizen mit Holz fällt mir da auch noch ein, was für ein Schwachsinn von mir, doch einen Kamin für den Schwedenofen einzubauen, wo ich doch Wärmepumpe habe. Teuer, der Dreck, der Wirkungsgrad........Mid-Ager halt, der nicht weiß wohin mit der ganzen Kohle. :D
Nichts an den auch von Frank genannten Retro-Hypes ist wirklich schlechter, jedoch anders, aber vielleicht symphatischer, höchstens unbequemer.
Kurzum Frank: natürlich kannst Du Deine Meinung darüber hier kundtun, einzig die Wortwahl mit "schwachsinnig" finde ich unglücklich und die Art des Schreibens, daß es einfach so ist wie Du schreibst und nicht anders, auch wenn Du später mal ein "aber das ist Geschmackssache" los lässt.

Gruß
Thomas
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#8 Beitrag von raimund54 » 27.12.2015, 22:45

Hi,

bei der ganzen Geschichte darf man nicht vergessen, dass ein Gitarrenverstärker für den Musiker nicht zum originalgetreuen reproduzieren von Musik dient, sondern zum Erzeugen von Musik und eines gewünschten Sounds.

Eine HiFi-Anlage sollte jedoch keinen Sound haben, sondern neutral klingen bzw. die Musik original wiedergeben.

Das hat also nichts mit Hype oder ähnlichem zu tun und schwachsinnig ist das schon gar nicht.

Der Vergleich mit dem Vinylhype zieht auch nicht ganz, da oft die modernen digitalen Varianten der alten Analogaufnahmen sehr im Klang abgeändert sind (die Tonmeister haben sich ausgetobt) und daher viele die alte Schallplatte vorziehen, die zudem aufgrund der typischen Verzerrungseigenschaften bei der Wiedergabe für das Ohr etwas "wärmer" klingt als CD oder MP3.

Ich wollte ursprünglich nur zum Ausdruck bringen, dass man die gute alte EL84 auch heute noch einsetzt und selbst bei Neuentwicklungen auf diese setzt. Ich war der Meinung, dass es evtl. bessere bzw. neuere Röhren dafür gibt.

Gruß,

Raimund

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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#9 Beitrag von fnerstheimer » 31.12.2015, 12:28

hallo Raimund,

um es nochmal klarzustellen - ich halte es nicht für schwachsinnig, Schallplatten oder Röhrengeräte zu benutzen - täte ich das, würde ichmich selber für schwachsinnig erklären müssen.

Was ich für schwachsinnig halte, ist, Technik für Neuentwicklungen einzusetzen, die vor über 50 Jahren zuende entwickelt war, und das Ganze der Welt als innovative Neuheit zu verkaufen. Die Röhrentechnik war um 1960 zuende entwickelt, und die EL84 stammt aus dieser Zeit - danach gab es in der Röhrentechnik keinen echten Fortschritt mehr, auch wenn die High End Szene dies immer wieder glauben machen will. Mich würde eher interessieren, wie viele EL84 nötig sind, um mit so einem Gerät eine Bühne beschallen zu können. Die Röhre schafft im Gegentaktbetrieb ungefähr 12 Watt, wenn man sie auslutscht bis zum Ende, gehen irgendwas um 15 Watt, mehr aber nicht. Die Amerikaner basteln schon lange nur noch an ihrem eigenen Mythos, es gibt z.B. von einem bekannten amerikanischen Autohersteller im Jahr 2015 einen V8 mit fast zehn Litern Hubraum und Vergaser ( !?! ), der im Jahr 2015 als das fortschrittlichste Aggregat dieses Herstellers beworben wird. Da wundert einen doch nichts mehr, oder ?

Und was ich zunehmend als grotesk empfinde, ist dieser Retro Hype, der seit einigen Jahren die Wertvorstellungen zunehmend beeinflusst, und der in immer krasserem Gegensatz zur Wirklichkeit steht - man kann heute in eine Zigarettenschachtel einen Verstärker mit DSP einbauen, der mehr Leistung hat als zwei EL84 Gegentaktendstufen, und den man per Konfiguration klingen lassen kann, wie man will. Statt diese Technik aber für die Bühne weiterzuentwickeln, setzt man lieber auf Röhren, weil diese angeblich den einzig wahren Klang produzieren. Man spielt Material aus digitalen Quellen auf Schallplatten und behauptet anschliessend, die Platte würde besser klingen als das digitale Original. Und der spritsaufende Ami-V8 ist in den letzten Jahren so zum Idealbild des Automotors hochgejubelt worden, dass man mittlerweile Lautsprecher in die Auspuffanlagen einbaut, damit der kleine Diesel wie ein V8 klingt. Das alles hat nichts mit der Liebe zu alter Technik zu tun, sondern ist einfach nur noch gaga, und ich finde, dass die Fender Bassbreaker genau in diese Schiene passen.

Gruß Frank
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Re: Altbewährtes in neuen Verstärkern

#10 Beitrag von Chrischi » 10.02.2016, 12:37

fnerstheimer hat geschrieben: Die ganzen Retro Geräte werden in naher Zukunft genauso wertlos werden wie die ganzen Märklin-, Schuco- oder Steiff-Repliken aus den neunzigern.
Das ist völlig übertrieben und stimmt so nicht. Bei den Märklin, Steiff etc Geschichten ist die Sachlage völlig anders. Gitarre wird nach wie vor von vielen jungen Menschen gespielt, während mit der Eisenbahn kaum ein junger Mensch spielt. Somit kann die Eisenbahn schon heute nicht bei 30jährigen nostalgische Gefühle auslösen, in ihren Kinderzimmern stand eine Nintendo oder Sega Spielkonsole. Und genau bei diesen Konsolen gibt es ja jetzt schon immer wieder mal eine kleine Retro Wellen.

Zu dem Thema Gitarren und Verstärker:
In diesem Bereich lehnen die Konsumenten Neuerungen ab. Die meisten Innovationen gab es schon in den 1980er Jahren. Hierzu gehören Carbonhälse, Porzellanbodies, aktive Tonabnehmer und 2 Punkt Tremolos (Floyd Rose Systeme). Doch alle diese Innovationen fristen ein Nischendasein und verkaufen sich auf dem Gebrauchtmarkt nicht so gut.
Seit Jahren ist der Trend, dass man jahrzehnte gelagerte Hölzer will, meist in Nitro Lackierungen mit Alterungserscheinungen. Die Tonabnehmer müssen passiv und handgewickelt sein, die Tremolos mit 6 Schauben befestigt. Das alles entspricht dem Technologiestand der frühen 50er Jahre. Aufgrund dieser Entwicklung gibt es gerade im Instrumentenbau eine Vielzahl von kleinen hochwertigen Fachwerkstätten, die recht hochpreisig liebevoll Instrumente in Handarbeit herstellen. Auch diese Instrumente sind auf dem Gebrauchtmarkt gefragt und wertstabil.
Ob das alles wirklich so viel besser klingt und der Aufwand für eine veraltete Bauweise sinnvoll ist, ist ein anderes Thema. Aber genau dies entspricht den Kundenwünschen und wird auch weiterhin gebaut werden.

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