Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

Die aktiven und passiven HiFi-Lautsprecherboxen
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Tannennadeln in Lautsprechern?

ja, gehoeren einfach dazu, wie Pommes zur Mayo
2
14%
tja, oft angetroffene Boxenbestandteile
1
7%
och, hin und wieder vorhanden
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Keine Stimmen
naja, eher selten gefunden
2
14%
nein, noch nie aufgefallen
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64%
 
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Paul_Luther
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Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#1 Beitrag von Paul_Luther » 24.11.2016, 18:10

Liebe Braun-Fangemeinde,

sonst war ich hier immer nur Leser und hab schon viel von Eurem Know-How profitiert, aber ich wollt auch mal was zurück geben.
Hier eine Foto(-Love-)Story mit vorläufigem Happy-End.
Als kleine Hommage und zur Anregung, dass sich so eine Restauration lohnt. Wobei: Beides ist wohl hier im Forum wie Eulen-nach-Athen-tragen.
Der Sinn der nicht ganz ernst gemeinten Umfrage ergibt sich übrigens weiter unten.

Die Tatsache, dass ein doch zunächst noch echt schrottiges Paar Braun L 620/1 wieder "wohnzimmertauglich" hergerichtet werden konnte und jetzt sogar den hohen ästhetischen Ansprüchen an Raumgestaltung der Partnerin genügt, spricht für eine besondere Qualität dieser Lautsprecher. Klangtechnisch ist die Sache jetzt ohnehin sehr in Ordnung, mehr dazu am Schluss.
620 1 vorher nachher.jpg
Vorher-Nachher Bild. Im 44. Lebensjahr der 620/1 (eigentlich waren die letzten Jahre wohl mehr Siechen als Leben) suchten die Boxen ein neues Zuhause.
Vergeblich hatte der Vorbesitzer sich noch bemüht, ihnen Töne zu entlocken und sie sogar noch betrieben – nicht wissend, dass an Stelle der Bass-Sicken schon längst nur noch ein ‚Nichts‘ war. Aber nicht nur das Klangerlebnis war natürlich sehr bescheiden, auch das Äußere hatte in vier Jahrzehnten einiges vom Leben seiner Mitbewohner (eine nette Punk-WG) mitbekommen.
trauerspiel.jpg
So waren Getränkespuren, Nikotin, Speisereste und Tannennadeln – frohes Fest! ;-) an den Nussbaumwänden und in den Aluminiumgittern gelandet. Ein desolater Anblick.

Nicht zuletzt, weil ja auch hier im Forum durchaus eine Fangemeinde der 620/1ser existiert, hatte ich die Hoffnung, das das Ganze sich lohnen könnte. Zwar skeptisch, ob an meinem Regie 510 jemals andere als die 710/1er gut passen würden, habe ich mich doch an die vorsichtige Öffnung der Gitter gemacht. Gaaaanz vorsichtig aufhebeln, Zentimeter um Zentimeter weiter, rund um das Gehäuse und dabei das Holz geschützt. In meinem Fall waren die seeeehr Gitter satt in das schwarze Silikon gelegt, welches im Gegensatz zur Dichtmasse an den Chassis auch noch ganz flexibel war.
Peters Bröselmaschine.jpg
Das hat immerhin die Müllhalde aus Tannennadeln Staub, Sicken-Bröselmaschine etc. beisammengehalten. Apropos Tannennadeln: Sagt mal, habt Ihr eigentlich auch in Lautsprecher-Boxen, wenn Ihr die bekommt immer Tannennadeln? Ich hab tatsächlich nur sechs Paar, hier sind sicher Leute mit besserer Datenbasis, aber bei mir liegt die Tannennadel-Quote bei 75%. Deshalb die "Umfrage" :wink:
Aber diese hier ist schließlich eine Dezember-Box, also gehören Tannennadeln wohl dazu...
dezemberbox.jpg
Die 21cm-Chassis – Baujahr lt. Stempel 1972 ausgebaut und glücklicher Weise – trotz Baumaßnahmen daheim – den guten Rainer Hebermehl erreicht. Schnell waren dann die Teile nach fachmännischer Instandsetzung mit Original-Sicken abholbereit.
sicke_neu.jpg
Für den Profi Rainer schien außer Frage, dass sich das Ganze lohnt, ich Amateur hatte immer noch Zweifel an dem Projekt … aber gut, wenn die Bässe funktionieren, dann sind die LS wenigstens was für die Garage, die Werkstatt, die Gartenlaube … ermunterte ich mich.
Gehäusearbeiten.jpg
... dann die Gehäuse gründlich aufgearbeitet, mit Soda abgelaugt, um Nikotin, Speisereste und Dreck aus den Poren zu bekommen (natürlich nicht mit zu viel Wasser) und schnell bei Zimmertemperatur getrocknet, alter Lack von Hand abgeschliffen, neuer matter Klarlack gaaanz dünn aufgebracht (nicht gesprüht oder gerollt), damit es wiedermit der Holzporenstruktur aussieht, wie zuvor. Erstaunlich, dass trotz der Tatsache, dass die Gehäuse mitten im Leben gestanden haben, das Echtholzfurnier eigentlich an keiner Stelle gelöst war, auch keine Spalten zwischen den „Viertelstäben“ und den Furnieren oder Risse am Gehäuse. Ich war selbst ganz baff, wie gut die Kisten wieder da standen.
Auf Rat von Rainer Hebermehl habe ich mich auch getraut, einige gröbere Staubpartikel, die sich an den Klebe-Kalotten festgefressen hatten, voooorsichtig mit etwas Nitro (Feinpinsel benutzen) anzulösen und dann mit einer Pinzette - noch vooooorsichtiger - abzusammeln. Interessanter Weise verschließen sich so die entstandenen ‚Narben‘ auf der Klebebeschichtung wieder vollständig. Toller Tipp vom Meister… Danke!
montiert.jpg
So, die Basschassis wieder eingesetzt, angelötet, abgedichtet, Box fertig. Ach ja, da waren ja noch die Gitter… Also: Ich hab gute Erfahrung mit Spiritus und einer Schaumkur mit flüssigem Wollwaschmittel gemacht, wobei man eine Handbürste nehme, und diese Stück für Stück in die Löcher hinein arbeite. Nur so bekommt man die Vergilbungen im Inneren (!) der Löcher heraus. Das Ergebnis dieser Prozedur lohnt sich. Zwar waren alle Dellen noch da, aber das Alu sah wieder wunderbar hell aus. Dann auf einer glatten Fläche ein feines Tuch ausgebreitet, und von innen die Wölbung so mit festeren und weicheren Rollen bearbeitet, dass a) die Dellen geglättet und ausgebeult werden und b) die Wölbung erhalten bleibt.
neu mit Perwoll gewaschen.jpg
Jaja, ich weiß, die Braun-Logo-Schilder gehören anders herum. Aber das ist hier jetzt meine individuelle Note und zur Not ja auch reversibel.
Bei der kompakten Größe der Boxen, schön auf Ständern platziert, gibt es gar nichts am Klang zu meckern, im Gegenteil. Der Bass ist agiler, wirkt sogar tiefer und vor allem „weicher“ als bei den manchmal etwas bullig daher kommenden 710/1sern. Die Höhen und Mitten sind brillant und nicht zu spitz. Eine wirklich sehr runde Sache am CEV 510! Gut dass das Steuergerät zwei Boxenpaare schalten kann. Denn nun ist meine Präferenz für Klassik, Stimme und sparsamer instrumentierten Jazz die 710er und für Rock, Folk, Elektronik und „fetteren“ Jazz ganz klar die 620er, weil ausgewogener im Gesamtbild und niemals nervig. Party und "Laut-Hifi-machen", geht sicher mit der 710er besser, aber die 620er ist schon sehr fein.
Fertig.jpg
Bevor ich jetzt in die ultimative Lobhudelei ausbreche: Klar, natürlich wollte ich nach der Arbeit jetzt auch unbedingt ein Erfolgserlebnis haben, alles andere wäre ja panne. Und ja, klar, es geht immer auch noch besser. Ich höre z.B. auch noch sehr gern Acron 600B aus den 80ern, die gehen halt tiefer in den Basskeller und haben, wie ich finde, ‚gesoundetere‘ Mitten.
Aber es geht doch nichts darüber, wenn Braun nach mehr als vierzig Jahren so schön für Ohr und Auge sein kann!

In diesem Sinne, viele Grüße,

Paul

Dirk63
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Re: Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#2 Beitrag von Dirk63 » 29.11.2016, 02:00

Hallo Paul,

erstmal herzlichen Glückwunsch zum gelungenen Restaurationsprojekt! Die Boxen sind es sicher allemal Wert.

Nur mal interessehalber: Was hat Dich denn die Restauration insgesamt - ehrliche Rechnung: wirklich alles in allem - gekostet?

Zur Erklärung: Ich könnte mir vorstellen, dass man für ordentlich - professionell - instandgesetzte Lautsprecher durchaus weniger bezahlt (in der Gesamtausgabe), als für heutige neue Boxen - und dass die heutigen Boxen nicht unbedingt besser sind, weil es m.E. kaum noch Weiterentwicklung im Consumer-Bereich gibt - abgesehen von Dolby 5. irgendwas, was allerdings m.E. eher was fürs Kino ist. Ich habe jedenfalls nicht vor die ganzen Kabel bei mir noch zu verlegen.

Gruß Dirk

Rudolf
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Re: Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#3 Beitrag von Rudolf » 29.11.2016, 08:41

Hallo Paul,

auch von meiner Seite Glückwunsch und Respekt zu dieser gelungenen Restauration!

Dirk, so ein Projekt darf man nicht unter dem Aspekt des geleisteten Aufwandes betrachten. Es ist vielmehr das schöne Gefühl, ein zeitloses Produkt nicht nur in die Gegenwart geholt sondern auch für die Zukunft fit gemacht zu haben. Es dürften jedenfalls nur wenige so gut erhaltene Exemplare der L 620/1 existieren.

Und klanglich ist man mit Braun-Boxen aus den 70er Jahren eh ganz weit vorne mit dabei.

Viele Grüße
Rudolf

Paul_Luther
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Re: Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#4 Beitrag von Paul_Luther » 29.11.2016, 23:30

Hallo Dirk und Rudolf,
danke Euch. Ja, ich meine auch, es ist nicht wirklich in Arbeitsstunden und Cent aufzurechnen. Schließlich macht es uns doch auch ganz einfach Spass, die alten Sachen fit zu machen und zu nutzen. Ich mache das mit Freude und Respekt, schließlich sind die Lautsprecher hier fast zwei Jahre älter als ich :wink: .
Und wie will man das rechnen? In diesem Fall habe ich die Restaurationsobjekte günstig in der Nachbarschaft bekommen, die Werkzeuge und Materialien mehr oder weniger sowieso in meinem Keller gehabt, die Zeit mir einfach irgendwie genommen und nicht zuletzt hat Rainer einen angemessenen Preis für die professionelle Sickenreparatur veranschlagt. Der Rest ist Liebhaberei.
Ich persönlich finde es noch nicht einmal so einfach, zwischen zeitgenössischen guten Boxen und diesen zu vergleichen, weil es eine andere Welt ist. Meine Einschätzung ist, dass sie schlicht ganz anders klingen, also kaum in Kategorien von besser, schlechter etc. beschrieben werden können. Sicher, das Gros der heutigen Ware scheint mir schon einmal schlechter verarbeitet, so dass man sich eine Restauration des Furniers (wenn überhaupt vorhanden) nach 40 Jahren so nicht vorstellen kann. Aber man kann nicht bestreiten, dass man heute vergleichsweise günstiger an gut klingende Boxen kommen kann, als seinerzeit. Aber das ist ein Vergleich von Äppeln und Birnen. Was bei den technischen Fortschritten seit dieser Zeit wirklich bedeutsam, und was eher Vodoo oder gar Rückschritte waren, kann ich nicht so gut abschätzen, da haben hier andere Leute ganz sicher mehr Expertise(n). Aber in jedem Fall finde ich, dass die 620/1 stimmig zu zeitgenössischen Braun (und Co.) Steuergeräten aus dieser Zeit passen und dabei gar nicht antiquiert klingen.
Viele Grüße,
Paul

Chrischi
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Re: Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#5 Beitrag von Chrischi » 27.12.2016, 12:30

Zu dieser schönen Arbeit kann man Paul nur beglückwünschen, einfach toll! :thumb:


Zu seiner Frage:
Ich habe mal gehört, dass die Lautsprecher früher eher weich abgestimmt waren. Auch heute noch klingen so Klassik oder Jazz Aufnahmen sehr angenehm.
Heutige Boxen sollen in den unteren Preiskategorien erstmal durch einen fetten Bass und Druck überzeugen, wer einmal beim Media Markt sich aufgehalten hat, weiß wovon ich rede. Zwar sind die Boxen schon günstiger, wenn es aber um richtige Qualität geht, ist man kaum billiger als früher.

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Re: Wiederbelebung L 620/1 im 44. Jahr nach Herstellung

#6 Beitrag von Oldschool » 05.03.2017, 09:19

Hallo Paul,

sehr schöne, anschauliche Beschreibung. Ich habe auch ein Paar 620 mit neuen Sicken und entdellten Gittern. Wird Zeit, sich ans Holz zum machen :-)

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